barking dog 2

Polygene Vererbung

Erklärungsversuch am Beispiel Gelenk-Erkrankungen

(wobei im allgemeinen ein polygener Erbgang angenommen wird / Gentest nicht vorhanden)

 

Wer über viele Jahre Hunde züchtet, wird irgendwann auch einmal Krankheiten bei den Nachkommen haben, bei denen man von einer Erblichkeit ausgehen kann. So hatten wir bei unserem Wurf aus 2019 einen Fall von IOCH. Der Hund wurde opreriert und es geht ihm heute gut. Für die Zucht kommt so ein Hund natürlich nie in Frage. Die Geschwister aus dem Wurf sind alle gesund.

Über die Vererbung von IOCH gibt es bisher keine gesicherten Kenntnisse, nur Vermutungen. IOCH betrifft zwar auch den Ellbogen, da öfter von IOCH betroffene Hunde gleichzeitig als ED-frei ausgewertet wurden, scheint es davon unabhängig zu sein und ist separat zu betrachten.

 

Diese Auffassung bestätigen auch die Ausführungen von Dr. Herbert Müsch (veröffentlicht DWZ 05/2016)

 

Bei einem einfach rezessiven Gen (z.b. rot gegenüber braun) ist es recht einfach. Sind beide Eltern ohne Symptom (hier: braun), haben aber Nachkommen mit Ausprägung (hier: rot), müssen beide Eltern Vererber sein. Diese widerum haben es von einem Elternteil, von denen - sofern beide ebenfalls ohne Symptom (hier: braun) sind - nur einer Vererber ist, während der andere (höchstwahrscheinlich)) das Gen nicht trägt. (siehe auch HIER, Beispiele zur Farbvererbung)

 

Bei einem polygenen Erbgang ist dies alles viel komplizierter.

Angenommen, es wären 5 Gene beteiligt, hat das betroffene Individuum 5 Genpaare der "krank"-Variation, von denen es je die Hälfte von Vater und Mutter bekommen hat. Die Eltern sind also potentielle Vererber.

Folglich müssten beide Eltern mindestens 5 Gene der "krank"-Variation tragen, und 5 der "gesund"-Variation. Dann ist es in einem Wurf bei jedem einzelnen Individuum wie in einer Lotterie, ob und wieviele Gene der "krank"- bzw. "gesund"-Variation es erhält.

Es könnten theoretisch bei den Eltern aber auch 1 bis 4 komplette Genpaare mit "krank"-Variation sein, so dass dieses Elternteil immer 1 bis 4 Gene der "krank"-Variation vererben würde. Nur wissen oder festellen kann man das nicht.

Die Elterntiere haben diese Gene von den Grosseltern ererbt. Hier ist aber nicht zu sagen, dass nur ein Grosselter die Gene der "krank"-Variation weitergegeben hat, genauso könnten z.B. vom Vater 3 und von der Mutter 2 gekommen sein.

je mehr Gene daran beteiligt sind, um so wahrscheinlicher ist es, dass die "krank"-Variationen nicht nur von einem Großelternteil stammen, sondern z.B. 2 von dem einen, 3 von dem anderen, was sich dann zu 5 "krank"- Genen summieren würde.

Insofern möchte ich bei einem vermuteten polygenen Erbgang Eltern als Vererber und Grosseltern als "Warnhunde" betrachten, ebenso Geschwister (sofern sie in der Zucht eingesetzt werden) von betroffenen Hunden, die Gene der "krank"-Variation geerbt haben können (Lotterie!).

 

Da wir jetzt in jüngerer Zeit selbst betroffen waren, habe ich begonnen, die bisher erkrankten Hunde mit Vorfahren zu erfassen, um z.B. die Abstammung mit meiner Linie zu vergleichen.

Um dies anschaulich zu machen, habe ich die erkrankten Hunde, Eltern und Grosseltern farblich markiert. Obwohl zur Zeit noch nicht alle bekannten betroffenen Hunde erfasst sind, ist das Ergebnis bereits erschreckend. Wenn ich bei den betroffenen Hunden aus meinem Zwinger oder anderen, die ich jetzt erfasse, die Ahnentafel-Ansicht mit möglichst viel Generationen (mind.7) anschaue, erscheinen dort bei den Vorfahren

* keine betroffenen Hunde (für diese gilt Zuchtausschluss)

* wenig Hunde, die als Elternteil von Betroffenen erfasst sind

* selten Geschwister von betroffenen Hunden

* aber eine Vielzahl an Hunden, die unter der F2 Gen. (Enkel) betroffene Hunde hatten

 

Je mehr betroffenen Hunde mit Eltern und Grosseltern ich erfasse, um so bunter werden die Ahnentafeln, auch von Würfen, bei denen kein einziger Hund an IOCH erkrankt war.

 Die Wahrscheinlichkeit, dass einzelne Gene der "krank"-Variation weitergegeben werden, wenn Warnhunde in der Ahnenreihe vorkommen, ist gegeben.

 

Bei 50 erkrankten Hunden ergeben sich 100 Vererber (Eltern) und bereits 200 Warnhunde (Grosseltern). Da einige mehrfach beteiligt sind, werden es evtl. ein paar weniger. Dies sind jedoch überwiegend Hunde, die mehrfach eingesetzt wurden und in den meisten Linien vorkommen, wenn man weiter zurück geht. Dazu kommen einige weitere Warnhunde, sofern Vollgeschwister in der Zucht eingesetzt wurden. Insofern dürfte heute kaum noch ein Wurf völlig ohne theoretisches Risiko sein.

Die Gene für diese Erkrankung werden verdeckt über mehrere Generationen weitergegeben und können irgendwann wieder bei einzelnen Individuen das Auftreten der IOCH verursachen.

 

In alten Zuchtbüchern sind zum Teil auch Abgänge mit Datum und Todesursache aufgeführt, soweit diese vor Drucklegung des Zuchtbuches gemeldet wurde. Dort habe ich jetzt im Zuchtbuch Jahrgang 1960 folgenden Eintrag gefunden.

Hund XY gew. 10.1.60    ^^23.6.60 (Gelenkbruch)

Die könnte typisch zu einer IOCH passen, wie wir es bei einem unserer Hunde 2003 erlebt haben. Der Junghund ist noch keine 7 Monate alt, nach einer geringen Belastung ist das Gelenk gebrochen. - Das ist natürlich nur eine Vermutung und kann nicht mehr geklärt werden.

Es ist sicher nicht anzunehmen, dass IOCH erst um 2000 durch eine plötzliche Mutation entstanden ist, sondern die Anlage dazu bereits in der Rasse vorhanden war. Zum einen war damals evtl. diese Erkrankung noch nicht bekannt, noch hat man in den '60er und '70er Jahren einen Hund bei einer schweren Verletzung einer teuren Operation unterzogen. HD-Röntgen wurde erst um 1970 beim DW verbindlich für Zuchthunde eingeführt. IOCH ist überhaupt erst in neuerer Zeit im Gespräch, in älteren Fachbüchern (z.B. Praktikum der Hundeklinik / meine Ausgabe ist von 1986) ist sie nicht als Erkrankung erwähnt.

 

Januar 2024

Nach aktuellem Stand unter Einbeziehhung aller möglichen Verdachtsfälle liegt die Belastung der Rasse (Auswertungsbefund IOCH sowie erkrankte und operierte Hunde) bisher immer noch unter 1 % der Welpenzahl aus dem erfassten Zeitraum. Dies ist sehr wenig im Vergleich zu Hunden mit Befund ED Grad II und ED Grad III.

Trotzdem bin ich der Meinung, dass man auch diese Erkrankung weiterhin unter Beobachtung halten soll, zumal sie für Hund und Halter hohen Leidensdruck bedeutet (Hunde sind heutzutage meist auch "Familienmitglieder" und die Operationen sind teuer).